Kärntner Arbeitsmarkt steht am Wendepunkt

Für den ÖVP-Landtagsclub diskutieren Experten über Arbeitsmarkt und Wirtschaftsstandort Kärnten. Einhelliger Tenor auch bei unterschiedlichen Ansichten: „Wir müssen an mehreren Stellschrauben drehen.“

 „Es geht um nicht weniger als die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Kärnten – wir brauchen Menschen, die bereit sind Leistung zu bringen“, sagt Landeshauptmann-Stellvertreter Martin Gruber am Beginn des Clubgesprächs zum Thema „Ist Arbeit (noch) zumutbar?“ Zum bereits achten Mal bat ÖVP-Clubobmann Markus Malle Experten auf das Podium – diesmal diskutierten Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher, Wirtschaftskammer-Präsident Jürgen Mandl und Jutta Brandhuber, Geschäftsführerin der Gewerkschaft für Privatangestellte über den Mangel an Arbeitskräften in allen Branchen.

Gefahr für Sozialstaat und Wohlstand
Malle macht zu Beginn klar: „Im Juni hatten in Kärnten über 15.000 Personen keinen Job, fast 9.000 Arbeitsplätze sind unbesetzt – es geht um unseren Wohlstand und auch darum, das Sozialsystem zu erhalten, damit wir jenen helfen können, die es brauchen.“ Zustimmung erhält er von Kocher. „Alle sollten Interesse daran haben, dass möglichst viele Menschen arbeiten wollen, weil auch die Sozialleistungen davon abhängen.“ Und Mandl berichtet von „heftigen Auswirkungen“ aktueller Entwicklungen auf die Wirtschaft. Eine Folge: „Die Produktivität ist im letzten Jahr nach unten gegangen“, sagt er. „Wir verlieren die Wettbewerbsfähigkeit, weil die Lohn-Stück-Kosten steigen – deshalb müssen wir über mehr Leistung diskutieren.“ Kocher hat einen Ausblick dazu: „Wir sind am Wendepunkt. In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, wie wettbewerbsfähig Österreich und Europa ist.“

Lohnsteigerung als Inflationstreiber?
Dass Menschen sehr wohl arbeiten wollen, betont Brandhuber – nur eben „nicht mehr 40, 50, 60 Stunden“. Auf eine genaue Zahl will sie sich bei der Arbeitszeit nicht festlegen, aber ja: „Es geht auch um eine Verkürzung“, so Brandhuber. Sie hofft auf eine sozialpartnerschaftliche Lösung. „Es muss mehrere Stellschrauben geben“, ist sie überzeugt und meint Löhne in manchen Branchen von unter 2.000 Euro brutto, Kinderbetreuung, verschiedene Arbeitszeitmodelle bis hin zur weiteren Beschäftigung von Menschen, die bereits das gesetzliche Pensionsalter erreicht haben.

Mandl warnt nach den hohen Lohnabschlüssen im letzten Jahr vor einer weiteren teuren Lohnrunde. Für „bedenklich“ würde es er halten, wenn auch heuer Forderungen von 10 Prozent geäußert würden. Kocher erklärt dazu: „Die Maßnahmen der Bundesregierung und die hohen Lohnabschlüsse haben dazu geführt, dass die Preise bei uns stärker gestiegen sind, als in anderen Ländern.“

Zuzug qualifizierter Kräfte
Als einen Hebel, den Arbeitskräfte-Mangel zu lindern sieht Mandl die Rot-Weiß-Rot-Card. Sie sei aber zu bürokratisch, kritisiert er. „Die Anerkennung von Ausbildungen ist ein Problem“, sagt Mandl. „Wir werden die Menschen nicht nur zu uns bringen müssen, sondern sie auch ausbilden.“ Seine Hoffnung: „Wenn wir 1.500 Personen im Jahr nach Kärnten bekommen, dann sind wir gut. Aber: Die Rot-Weiß-Rot-Card muss niederschwelliger werden.“ Kocher nennt die bereits durchgeführte Reform einen „großen Schritt“. „Wir haben Deutsch und Englisch als Sprachen gleichgestellt und es ist möglich für Projekte für bis zu sechs Monate zu uns zu kommen und in dieser Zeit die Rot-Weiß-Rot-Card zu beantragen“, nennt Kocher Beispiele für Änderungen. Dadurch habe es in neun Monaten einen Anstieg von fast 50 Prozent gegeben. Und er räumt ein: „Das muss sich noch etablieren, und in den nächsten Jahren müssen es noch mehr werden.“

Keine Lust auf Arbeit?
Zur Arbeitszeit wirft Malle ein Problem ein: „In Österreich ist die Teilzeitquote um 10 Prozent höher als im EU-Schnitt.“ Und Brandhuber wirft ein: „Junge Menschen wollen ihr Leben genießen, weil sie in unsicheren Zeiten nicht wissen, was in ein paar Jahren sein wird.“ Von einer Unlust am Arbeiten will sie aber nichts wissen. „Das sieht man an den vielen Startups.“

Minister Kocher spricht von einem Wohlstandsphänomen: „Man kann es sich leisten, weniger zu arbeiten. Das ist positiv, aber wir müssen aufpassen.“ Verständnis zeigt er für junge Menschen, die in den letzten Jahren auf viele Vergnügen verzichten mussten. „Sie schätzen Freizeit jetzt höher ein, das wird sich allerdings wieder normalisieren“, ist er sich sicher.

Von einem gesellschaftlichen Problem spricht Mandl:

„Wir müssen die positiven Seiten einer Leistungsgesellschaft benennen – den Wert von Arbeit im positivsten Sinn“, spricht Mandl von einem gesellschaftlichen Problem. Er appelliert: „Arbeit ist sinnstiftend.“ Das müsse sich wieder als Selbstverständlichkeit in der Gesellschaft etablieren.

BU (© Wolfgang Handler): WK-Präsident Jürgen Mandl, LH-Stv. Martin Gruber, Minister Martin Kocher, GF der Gewerkschaft für Privatangestellte Jutta Brandhuber und ÖVP Clubobmann Markus Malle

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